29.07.2017

Allianzkonferenz: Keine Angst vor Migranten

Pfarrer Rudolf Westerheide: „Religion ist weltweit keine Privatsache“

„Völlig unrealistisch und weltweit nicht zutreffend“ sei es, dass Religion eine Privatsache sei. Das erklärte Rudolf Westerheide, Bundespfarrer des Jugendverbandes „Entschieden für Christus“ (EC) bei einem Seminar auf der Konferenz der Deutschen Evangelischen Allianz in Bad Blankenburg. Der größte Teil der Weltbevölkerung könne Kultur nicht ohne Religion denken. Der Hinduismus etwa bestimme in Indien das öffentliche und soziale Leben. Der Islam ordne alle Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens. Und: „Muslime schließen von dem, was sie als westliche Kultur erleben, auf das, was Christentum ist.“ Religion habe eine politische Prägekraft.

Jede Weltanschauung oder Religion habe zudem das Potenzial, dass sich menschliche Macht ihrer bemächtigt und diese Weltanschauung dadurch zu einem Gewaltfaktor wird, erklärte Westerheide.  Immer wieder hätten Religionen und Weltanschauungen in der Geschichte den Frieden bedroht – sowohl das Christentum als auch Buddhismus oder der Islam. Besonders gefährdet dafür seien Religionen dort, wo sie in der Mehrheit sind. „Menschen sind immer skeptisch gegenüber Minderheiten.“Gewalt im Namen des Christentums – auch wenn es sie gebe – lasse sich aus der biblischen Lehre nicht ableiten. „Das Alte und das Neue Testament im Lichte von Jesus gelesen, verbieten Gewaltanwendung zur Ausbreitung der Religion“, sagte Westerheide.

Der Kasseler Theologe ermutigte die Zuhörer dazu, die Begegnung mit Menschen anderen Glaubens nicht zu scheuen. Christen sollten ihren Glauben glaubwürdig bezeugen und im Leben deutlich zu machen: Menschen mit Nächstenliebe und Wertschätzung begegnen, freigiebig sein, sich für internationale Friedenspolitik einsetzen, Versöhnung anstreben – und für die Welt und ihre Probleme beten.

„Muslime sind nicht per se Gewalttäter“


Auch die in Jerusalem lebende Islamwissenschaftlerin und Journalistin Mirjam Holmer warb dafür, Muslime persönlich kennenzulernen, um Ängste und Vorbehalte abzubauen. „Es ist wichtig, dass wir als Christen vom Islam wissen“, sagte sie. Für Berührungsängste gebe es keinen Grund. Gleichzeitig riet sie, sich die Unterschiedlichkeit von Islam und Christentum bewusst zu machen. „Häufig gehen wir viel zu protestantisch an den Islam heran.“ Der Koran habe im Islam nicht dieselbe Funktion wie die Bibel bei Christen. Denn auch die Schriften der Hadithen und die Sunna seien entscheidende Quellen für die islamische Lehre.

Problematisch sei, dass die islamische Theologe seit dem 12. Jahrhundert nicht revidiert worden sei. Viele Muslime hätten allerdings nur geringe theologische Kenntnisse über ihre eigene Religion. Holmer betonte, dass es Verse im Koran gebe, die zur Gewalt aufrufen und diese verherrlichen. „Das macht Muslime aber nicht per se zu Gewalttätern.“

In Bezug auf die jüngsten Eskalationen am Tempelberg in Jerusalem sagte Holmer, die als Journalistin selbst in der israelischen Hauptstadt lebt, dass eine Unkenntnis seitens der deutschen Medien über die Zusammenhänge vor Ort häufig zu einer undifferenzierten Berichterstattung führe. Sie empfahl den Teilnehmern ihres Seminars, bei den Medien kritisch nachzufragen und Positives wie Negatives anzusprechen. „Nehmen Sie uns Medienschaffende in Ihre Gebete auf“, bat Holmer.

Dass christliche Gemeinden „Prototypen der Integration“ sind, wurde in einem weiteren Seminar bei der Konferenz deutlich. Schon die in der Bibel erwähnte Gemeinde in Antiochia, eine der ersten überhaupt, sei von Migranten gegründet und geleitet worden. Entsprechend sollten Christen sich auch heute für Integration einsetzen und sie in ihren Gemeinden leben. „Würden heute wir wirklich mitgehen, wenn der neue Luther Abdullah hieße?“ Dazu ermutigten die beiden Referenten Frank Spratte und Herbert Putz, Beauftragte für Migration und Integration bei der Deutschen Evangelischen Allianz beziehungsweise bei der Organisation „Sportler ruft Sportler“. Praktisch bedeute dies, in den Gemeinden die Begegnung mit Menschen anderer Kulturen zu suchen – und nicht nur zu warten, bis diese sich anpassen. „Integration ist niemals eine Einbahnstraße“, fasste Spratte zusammen.

Volker Kauder am Sonntag bei der Konferenz zu Gast


Die Bad Blankenburger Allianzkonferenz steht in diesem Jahr unter dem Motto „reform.aktion“ und greift Impulse aus der Reformation auf. Grundlage sind dafür Texte aus dem Römerbrief. Am Sonntag, dem letzten tag der Konferenz, wird der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Volker Kauder, zu Gast sein und zu den Themen „Christsein in der Welt“ sowie „Religionsfreiheit und Christenverfolgung“ sprechen. Tagesgäste können auch ohne vorherige Anmeldung teilnehmen.

Veranstaltet wird die Konferenz von der Deutschen Evangelischen Allianz. Diese ist ein Netzwerk verschiedener evangelisch gesinnter Organisationen und Gemeinden. Gegründet wurde sie 1846 in London als interkonfessionelle Einigungsbewegung. In Deutschland gib es rund 1.000 örtliche Allianzen. Vorsitzender der DEA ist Pastor Ekkehart Vetter, der hauptamtlich Präses des freikirchlichen Mülheimer Verbandes ist. Die erste Allianzkonferenz fand 1886 in Bad Blankenburg statt.